Back to the Basics – Fachgruppentreffen im Erzgebirge

Räuchermännchen, Pyramiden, Schwibbögen: Das erste physische Treffen der Fachgruppe Holzspielzeug nach fast drei Jahren Corona-Pause stand ganz im Zeichen des erzgebirgischen Kunsthandwerks.

10 Jahre Fachgruppe Holzspielzeug e.V.

Vertreterinnen und Vertreter von insgesamt 16 Mitglieds-Unternehmen hatten sich auf den weiten Weg in die malerische Bergwelt des Erzgebirges gemacht. Man könnte auch sagen: Eine Reise Back to the Basics. Denn die Region rund um das weltbekannte Seiffen gilt als einer der Geburtsorte der deutschen Holzspielzeug-Industrie.

Obwohl schon vorher Spielwaren produziert wurden, war es im Jahr 1850 ein gewisser Samuel-Friedrich Fischer, der mit einer kleinen Manufaktur die Industrialisierung der Holzspielwaren-Branche einläutete. Welcher Ort könnte für das 10-Jährige-Jubiläum der Fachgruppe Holzspielzeug e.V. besser geeignet sein?

Die wunderbare Jubiläums-Torte vom Torteneck in Olbernhau

Zu Gast bei SINA Spielzeug

Dass der Geist Fischers auch heute noch mehr als lebendig ist, wurde gleich am ersten Tag des Treffens deutlich. Die Gastgeberin unseres Treffens, die SINA Spielzeug GmbH, produziert in alter Tradition Bausteine und Baukästen nach den Prinzipien Friedrich Fröbels.

Friedrich Fröbel ist als Erfinder des modernen Kindergartens bekannt geworden. Als Pädagoge erkannte er als erster die besondere Bedeutung des Spielens für die Entwicklung des Menschen.

Gastgeschenk der SINA Spielzeug GmbH, ein USB-Stick in Holzauto-Form

Fröbels Gaben in modernem Design

Weltweite Bekanntheit erlangten Fröbels auf unterschiedliche Entwicklungsstadien des Kindes angepassten Holzspielwaren, die sogenannten Fröbel-Gaben. Das Familienunternehmen SINA, welches seit über 25 Jahren alle Produkte im heimischen Neuhausen fertigt, setzt damit die Tradition Samuel-Friedrich-Fischers fort, der vor 170 Jahren die ersten Fröbel-Spielwaren produzierte.

Entstanden aus den Resten eines ehemaligen Volksbetriebs

Entstanden ist das Unternehmen aus den Überbleibseln des nach der Wende abgewickelten Kombinats VERO, den Vereinigten Erzgebirgischen Spielwarenwerken Olbernhau. Durch die Pleite verloren auch SINA-Geschäftsführerin Barbara Seidler und ihr Mann Werner ihre Arbeitsplätze.

Mit viel Herzblut, Willenskraft und Leidenschaft machten sich die beiden gemeinsam mit mutigen Mitstreitenden daran, aus den Resten der VERO ein eigenes Spielwaren-Unternehmen aufzubauen. Unterstützung erhielten sie dabei von Lulu Schiffler-Betz, Geschäftsführerin der Dusyma Kindergartenbedarf GmbH aus Baden-Württemberg, für welche schon bald mit Zulieferungen begonnen wurde.

In einer sehr emotionalen Präsentation betonte Barbara Seidler, wieviel persönlicher Einsatz sowohl von der eigenen Familie als auch von den ersten Angestellten nötig war, um die Produktion anlaufen zu lassen.

„So etwas würde heutzutage nicht mehr möglich sein“.

Barbara Seidler über den Einsatz beim Aufbau der SINA Spielzeug GmbH

Pleiten, Pech und Pannen…und trotzdem!

Die ersten Jahre nach dem Start verliefen sehr wechselhaft. Auf Grund behördlicher Auflagen zog im Jahr 1995 die komplette Produktion, und das bei laufendem Betrieb, vom ursprünglichen Standort in Neuwernsdorf zum heutigen Firmensitz in Neuhausen. „Das war eine Odyssee durch Behörden, Treuhandanstalt und Banken“, fasst Barbara Seidler diese schwere Zeit zusammen.

Kurze Zeit später erschütterte ein Schicksalsschlag die Familie, als Werner Seidler im Alter von 49 Jahren einen schweren Schlaganfall erlitt und fortan für das operative Geschäft nicht mehr zur Verfügung stand. Barbara Seidler übernahm die Geschäftsführung und zog mit Enthusiasmus, Engagement, unerschütterlichem Willen und Herzblut die SINA Spielzeug GmbH hoch. „Gemeinsam, mit großartigen Menschen an meiner Seite!“, wie sie immer wieder mit erzgebirgischer Bescheidenheit betont.

Das Team der SINA Spielzeug GmbH in Neuhausen, Foto: SINA

Der Weg zu einer international bekannten Marke

Eine Situation, die für viele andere das Aus bedeutet hätte, setzte bei Barbara Seidler und ihrem Team ungeahnte Kräfte frei. Produktion und Produktportfolio wurden weiter ausgebaut, die Fertigung modernisiert, neue Arbeitsplätze entstanden.

Heute ist SINA nicht nur bekannt für pädagogisch wertvolle Holzspielwaren aus lokaler Fertigung, sondern auch für design-orientierte Produkte. Die in 2021 neu gestaltete Website zeigt eindrucksvoll die Liste an bekannten nationalen und internationalen Designer*innen, mit denen das Unternehmen bis heute zusammengearbeitet hat.

Besonders in Japan, wo Fröbel-Produkte ein hohes Ansehen genießen, sind die Produkte der Seidlers beliebt. Ein Bild der japanischen Kaiserfamilie aus den frühen Nuller-Jahren zeigt Prinzessin Aiko, Tochter von Kaiser Naruhito und Kaiserin Masako, beim Spielen mit den Klangbausteinen von SINA

Die japanische Kaiserfamilie Anfang der 2000er und Holzspielzeug von SINA, Foto: SINA Spielzeug

Die Nachfolge ist gesichert und bereits aktiv

Barbara Seidler zieht sich seit diesem Jahr sukzessive aus dem operativen Geschäft zurück. Sie freut sich, dass SINA auch in Zukunft ein Familienunternehmen bleiben wird. Sohn Norman Seidler ist seit 2022 als Geschäftsführer tätig, Tochter Isabel Seidler verantwortet den Vertrieb.

„Die Welt durch Spielen begreifbar machen“ ist das Motto von Familie Seidler, und dieser Leitspruch wird auch für die nächste Generation das unternehmerische Handeln bestimmen.

„Die Welt durch Spielen begreifbar machen.“

Der Leitspruch der SINA Spielzeug GmbH
Die Gastgeber des Treffens: Barbara, Norman und Isabel Seidler

Zu Gast bei der DENKSTATT Erzgebirge in Seiffen

Am zweiten Tag des Treffens ging es weiter in das Spielzeugdorf Seiffen. In der dortigen DENKSTATT demonstrierte Holzspielzeugmacher und Projektleiter Wolfgang Braun, wie das vom Freistaat Sachsen geförderte Projekt innovative Designer und Unternehmen aus der Region zusammenbringt.

Unser Ziel ist, aktiv die Zukunft des erzgebirgischen Kunsthandwerks mitzugestalten.

Wolfgang Braun, Denkstatt Erzgebirge – 16/08/2022

Der Vater von vier Kindern und Großvater von sechs Enkelkindern weiß, wovon er spricht: Seit 1984 produziert er in seiner eigenen Holzwerkstatt im benachbarten Deutschneudorf die Klassiker der erzgebirgischen Lichterweihnacht. Engel und Bergmann zählen genauso zu seinem Sortiment wie Räuchermänner oder Miniaturen.

Die DENKSTATT arbeitet an der Zukunft des erzgebirgischen Kunsthandwerks

Die DENKSTATT ist seit 2020 sein neuestes Projekt. Hoch oben über Seiffen thront sie, in einem der ältesten Gebäude der Stadt und malerisch eingebettet in Felder und Wiesen. „Die DENKSTATT ist eine Symbiose aus Denken und Werkstatt“, so Wolfgang Braun. Auf ca. 60 Quadratmetern finden sich neben einem geräumigen Working Space zahlreiche moderne Holzbearbeitungsmaschinen.

Die DENKSTATT in Seiffen, Foto: DENKSTATT

Vernetzung von Handwerk und kreativen Köpfen

„Wir wollen hier jungen Menschen mit kreativen Ideen eine Möglichkeit geben, ihre Ideen direkt in die Tat umzusetzen“, ergänzt Markus Weber. Der gelernte Holzspielzeugmacher ist die zweite treibende Kraft im Team der Denkstatt. Seit kurzem ist er Vertretungsprofessor an der Fakultät Angewandte Kunst Schneeberg im Bereich künstlerisch-gestalterische Grundlagen. Nichtsdestotrotz versucht er, möglichst viel Zeit in der DENKSTATT zu verbringen.

„Wir wollen Start-Ups, Künstler*innen, Designer*innen, Handwerker*innen und Quereinsteigende mit dem ortsansässigen Handwerk vernetzen“, so Markus Weber. Seminare zu Themen wie CAD-Produktentwicklung, Social Media oder Vermarktung gehören genauso zum Programm wie Hands-On-Workshops, in denen an neuen Produktkonzepten getüftelt wird.

„Wir wollen hier jungen Menschen mit kreativen Ideen eine Möglichkeit geben, ihre Ideen direkt in die Tat umzusetzen.“

Markus Weber, Produktdesigner und Holzspielzeugmacher

Zum Gelände der DENKSTATT gehört auch eine kleine Scheune, die als Veranstaltungsort genutzt wird. Hier fand im September 2021 das erste Spielzeugmacher-Festival statt. An drei Tagen beschäftigten sich Herstellende, Gestaltende, Dozierende, Auszubildende und Studierende aus Deutschland und Polen mit dem Thema Spielzeug und Gestaltung.

Die Pandemie stoppte unser Projekt

„Als wir 2020 starteten, war wegen der Pandemie gleich alles vorbei“, so Wolfgang Braun. Umso mehr freut es ihn und Markus Weber, dass das Projekt so gut angenommen wird und sich inzwischen auch überregional einen Namen gemacht hat. Die finanzielle Perspektive bleibt indes ungeklärt.

„Wir hoffen, dass der Freistaat weiterhin Fördermittel bereitstellt, damit wir weiter daran arbeiten können, die heimische Spielwarenindustrie fit für die Zukunft zu machen“.

Wolfgang Braun über die Zukunft des Projektes DENKSTATT Erzgebirge
Projektleiter Wolfgang Braun zeigte der Fachgruppe, wie die DENKSTATT klassisches Handwerk und innovative Ideen zusammenbringt.

Beliebt wie selten zuvor: Die Ausbildung zum Holzspielzeugmacher (w/m/d)

Dass hierfür nicht nur Begegnungsorte wichtig sind, sondern vor allem Menschen, berichtete im Anschluss Frederic Günther, Geschäftsführer des Verbands Erzgebirgischer Kunsthandwerker und Spielzeughersteller.

Der Verband mit Sitz in Olbernhau ist das Sprachrohr der erzgebirgischen Holzspielwaren-Industrie und vertritt die Interessen von rund 50 Herstellenden erzgebirgischer Holzkunst. Bestandteil des Verbands ist der Fachhandelsring Erzgebirgische Volkskunst, dem deutschlandweit ca. 100 Fachgeschäfte angehören.

„Wichtig ist, dass auch in Zukunft genügend junge Menschen den Beruf des Holzspielzeugmachers (w/m/d) erlernen. Dieser Ausbildungsberuf wird in Deutschland einzig an der Holzspielzeugmacher- und Drechslerschule in Seiffen angeboten. In Zeiten, in denen in vielen handwerklichen Berufen Lehrstellen unbesetzt bleiben, konnten sich die Schule in diesem Jahr vor Bewerbern kaum retten: Wir haben in diesem Jahr über 29 neue Auszubildende, so viele wie seit 20 Jahren nicht mehr!“

Frederic Günther, Leiter der Berufsfachschule Seiffen
Frederic Günther, 16.09.2022
Frederic Günther, Geschäftsführer beim Verband Erzgeb. Kunsthandwerker u. Spielzeughersteller

Was macht man in Seiffen richtig, was anderswo falsch läuft?

In einem sehr kurzweiligen Vortrag gab Frederic Günther einen Überblick über die Verbundausbildung zum Holzspielzeugmacher (w/m/d). „Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, den jungen Menschen ein kreatives Berufsfeld aufzuzeigen, in welchem sich Tradition und Moderne sehr gut verbinden lassen“, so Frederic Günther.

In diesem Jahr veranstaltet der Verband den Innovationswettbewerb freiGEDREHT. Sowohl professionelle Gestalterer*innen und Schüler*innen sind aufgerufen, neue Ideen für das erzgebirgische Kunsthandwerk zu entwickeln. „Wir wollen zeigen, dass unsere Branche gute Zukunftsaussichten bietet“. Eine Aussage, die wir als Fachgruppe mit Blick auf das Wachstum der Holzspielwaren-Branche in Deutschland nur bestätigen können.

„Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, den jungen Menschen ein kreatives Berufsfeld aufzuzeigen, in welchem sich Tradition und Moderne sehr gut verbinden lassen.“

Frederic Günther über die Ausbildung zum/r Holzspielzeugmacher*in

Dynamiko: Ein Holzspielzeug-Start Up mit viel PS

Nach diesen sehr interessanten Einblicken in die erzgebirgische Holzkunst-Szene ging es nun, natürlich nur thematisch, weiter nach Oberbayern. Genauer gesagt, nach Fridolfing. Dort ist die Dynamiko Holz und Spiel GmbH zuhause, seit April 2022 das neueste Mitglied der Fachgruppe Holzspielzeug.

Das 2017 gegründete Start-Up ist in zweierlei Hinsicht ungewöhnlich: Die Gründer Konrad und Michael Mayer sind nicht nur Onkel und Neffe, sondern auch hauptberuflich bei einem großen Automobilzulieferer beschäftigt.

„Das Ganze hat begonnen, als ich für meinen Sohn eine nachhaltigere Alternative zu einem Bobby Car gesucht habe. Als ich nicht fündig wurde, habe ich die Sache einfach selbst in die Hand genommen“.

Michael Mayer, Dynamiko Holz und Spiel GmbH

Das Michael und Konrad Mayer erfahrene Ingenieure mit Automobil-Background sind, zeigte sich gleich im ersten Produkt der Firma, dem Rutscher-Auto Fred. Dessen Beschreibung liest sich wie das Bordbuch eines neuen Mittelklassewagens: Patentierte Allrad-Lenkung, Soft-Close Mechanik, abriebfeste Gummireifen. „Uns ist wichtig, dass all diese Funktionen das kindliche Spiel und die gleichzeitig die Sicherheit des Produkts unterstützen“, so Michael Mayer. Kniet sich ein Kind beispielsweise auf das Rutscher-Auto, verhindert eine Kniemulde das Abrutschen.

Inzwischen haben die Mayers ihr Produktportfolio um Holztraktoren und Holzzüge erweitert. Wichtig ist den Gründern, dass alle Ihre Produkte Made in Germany (zurzeit sogar Made in Bavaria) sind. „Wir sind und bleiben eine kleine Manufaktur“, so Konrad Meyer, „Aber wer weiß, wo uns der Weg noch hinführt. Wir wollen in Zukunft noch einiges bewegen!“

Wir freuen uns, dass Dynamiko ab sofort Teil der Fachgruppe ist und werden die weitere Entwicklung des Unternehmens mit Interesse verfolgen.

Die Gründer von Dynamiko: Konrad und Michael Mayer

„Vernetzung“ ist das Zauberwort der Fachgruppe

Das Schlusswort der Veranstaltung lag bei der Gastgeberin: „Wir freuen uns darüber, dass die Fachgruppe Holzspielzeug und der Verband Erzgebirgischer Kunsthandwerker und Spielzeughersteller sich kennen lernen und ihre Erfahrungen austauschen konnten“, fasst Barbara Seidler das Treffen zusammen und zeigt sich zuversichtlich für die weitere Zusammenarbeit in der Fachgruppe.

„Wir werden auch in Zukunft noch vieles gemeinsam bewegen können“.

Barbara Seidler über die Fachgruppe Holzspielzeug e.V.

Das nächste Treffen der Fachgruppe Holzspielzeug wird im Frühjahr 2023 bei der Margarete Ostheimer GmbH in Zell unter Aichelberg stattfinden.

Gruppenfoto der Fachgruppe Holzspielzeug
Fachgruppentreffen im Erzgebirge, September 2022

Autoren

  • Sebastian Kornblum

    Sebastian Kornblum ist als Produktmanager von BRIO (Ravensburger Verlag GmbH) zur Fachgruppe Holzspielzeug e.V. gestoßen. Als 1. Vorsitzender leitet er seit Dezember 2020 die Fachgruppe Holzspielzeug.

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  • Nadja Lüders

    Nadja Lüders ist studierte Produktdesignerin und Expertin für Spielzeugsicherheit. Sie berät unter dem Motto "CE für Spielzeug: mach's einfach!" Spielzeugherstellende bei der sicheren und nachhaltigen Herstellung ihrer Spielzeuge. Nadja ist nicht nur 2. Vorsitzende der Fachgruppe Holzspielzeug e.V. sondern auch Vorstand des Wir machen Spielzeug e.V., einem Verein für rund 750 Spielzeug-Kleinmanufakturen im deutschsprachigen Raum.

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