„Im Zuge einer neu ausgerichteten Endkunden-Kommunikation bitten wir Sie, uns für das von Ihnen bezogene Sortiment mitzuteilen, welche Spielzeuge den Kriterien der Nachhaltigkeit entsprechen“.
So oder so ähnlich klingen die Anfragen, welche die Verkaufsabteilungen von Spielwaren-Unternehmen in letzter Zeit vermehrt erhalten. Absender ist zumeist der Online-Handel.
Der Onlinehandel hat den Trend zu nachhaltigen Produkten erkannt und möchte seine Kund*innen gezielt auf diese Produkte aufmerksam machen. Das ist eine positive Entwicklung! Gleichzeitig lassen derartige Anfragen viele Herstellende ratlos zurück. Denn nirgendwo ist definiert, was genau ein Spielzeug „nachhaltig“ macht.
Welche Siegel oder Zertifizierungen sind entscheidend? Was machen kleinere Spielzeug-Unternehmen, die bisher auf kostenintensive Zertifizierungen wie FSC oder PEFC verzichtet haben, weil sie die eigenen Produkte in äußerst nachhaltiger Weise mit Holz aus lokalen Forsten produzieren?
Grund genug für die Fachgruppe Holzspielzeug, bei einer Nachhaltigkeit-Expertin nachzufragen, die sich täglich mit derartigen Fragestellungen beschäftigt. Wir freuten uns daher sehr, dass wir Dr. Katharina Reuter zu unserem digitalen Gruppentreffen am 19.05.2022 begrüßen durften.
Inhaltsverzeichnis
Die Fachgruppe als Mitglied im Bundesverband nachhaltige Wirtschaft (BNW)?
Mit dieser Frage sind wir als Verbund von unterschiedlich ausgerichteten Holzspielzeug-Herstellenden (D/A/CH) an den BNW herangetreten. 2018 haben wir mit unserem Nachhaltigkeitskodex die Weichen der Fachgruppe auf Nachhaltigkeit gestellt. Alle Mitgliedsunternehmen verpflichten sich freiwillig, ein aktiv nachhaltig handelndes Unternehmen zu sein.
In unseren Mitglieder-Treffen gibt es immer ein TOP, das sich mit einem Aspekt der Nachhaltigkeit auseinander setzt. Unsere Mitglieder erhalten einen Überblick über notwendige oder sinnvolle nächste Schritte, um dem schwammigen Begriff „Nachhaltigkeit“ mit konkretem Unternehmergeist zu begegnen. Holzspielzeuge haben das große Potential der Langlebigkeit. Sie sind jedoch nicht per se nachhaltig. Im Rahmen der Agenda 2030 arbeiten wir an denjenigen Themen, auf die wir maßgeblich Einfluss nehmen können.
Wollen wir unsere Lebensgrundlagen erhalten und Unternehmen betreiben, die zukunftsfähig sind, müssen unsere Entscheidungen unter den drei Gesichtspunkten Wirtschaft, Umwelt und Soziales dauerhaft tragfähig sein. Die Leitplanken unseres Handelns sind:
• ein Leben in Würde für alle Menschen, auf die unsere Arbeit Einfluss hat
Auszug aus dem Nachhaltigkeitskodex der Fachgruppe Holzspielzeug e.V.
• der bewusste Umgang mit Ressourcen
• das Handeln mit Weitblick als Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen
Was macht der Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft (BNW)?
Der BNW mit Sitz in Berlin agiert parteipolitisch unabhängig sowie branchenübergreifend und versteht sich als „politische Stimme der nachhaltigen Wirtschaft“. Der Fokus der Arbeit liegt auf kleinen und mittelständischen Unternehmen.
Katharina Reuter ist seit 2014 Geschäftsführerin des BNW.
Als Lobbyistin im Auftrag nachhaltigen Wirtschaftens ist Katharina bestens in der politischen Szene Berlins vernetzt. Obwohl das Thema in Wirtschaft, Politik und Medien omnipräsent ist, gibt es noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.
Nachhaltiges Wirtschaften wird zu oft als ökonomischer USP und nicht als ökologische Notwendigkeit gesehen
Ein ehemaliges Mitglied der Bundesregierung fragte mich allen Ernstes, ob es sinnvoll sei, dass sich mehr und mehr Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit engagieren. Denn wenn das alle täten, sei es ja kein Alleinstellungsmerkmal mehr.
Dr. Katharina Reuter, Geschäftsführerin BNW, Fachgruppen-Onlinemeeting 19.05.2022
Dass nachhaltiges Wirtschaften als ökonomischer USP (Unique Selling Point = Verkaufsargument) und nicht als ökologische Notwendigkeit gesehen werde, komme laut Katharina leider noch allzu häufig vor. Aus diesem Grund sei es wichtig, in diesem Feld aktive Lobbyarbeit zu betreiben.
Flut an Zertifikaten und Siegeln im Bereich Nachhaltigkeit
Zu einen, und das betrifft auch die Spielwarenindustrie, sei es wichtig, die Flut an Zertifikaten und Siegeln im Bereich Nachhaltigkeit einzudämmen und auf eine neue Grundlage zu stellen. So schießen gerade im Konsumgüterbereich Produkte wie Pilze aus dem Boden, welche das Label „Klimaneutral“ auf der Verpackung tragen.
Eine ähnliche Entwicklung sei auch in der Spielwarenbranche zu erwarten. Derartige Siegel seien eigentlich eine gute Sache. Besonders deshalb, da Unternehmen im Vorfeld ihren CO2-Footprint berechnen müssen und damit einen Überblick bekommen, wo überall Emissionen eingespart werden können.
Wir hatten im November 2021 zum Thema „CO2-Bewertung und Ausgleich“ Anna Alex vom CO2-Startup Planetly als Referentin in die Fachgruppe zu Gast, um uns einen ersten Überblick zu verschaffen. Der BNW bietet in Kooperation mit PlanA einen eigenen Emissionsrechner an.
„Leider ist die CO2-Kompensation aktuell sehr günstig, so dass Unternehmen eher diesen Weg gehen, als aktiv Emissionen einzusparen. Nur kompensieren gilt nicht“.
Dr. Katharina Reuter, Geschäftsführerin BNW, Fachgruppen-Onlinemeeting 19.05.2022
Die Politik muss nachhaltiges Wirtschaften fördern!
Katharina Reuter sieht gleichzeitig die Politik in der Pflicht, um nachhaltiges Wirtschaften zu fördern. „Besonders in der Fiskalpolitik muss der Gesetzgeber neue Leitplanken definieren.“ Ein Kernelement wäre in ihren Augen eine sektorübergreifende CO2-Bepreisung, um Umweltkosten adäquat zu internalisieren. Für Unternehmen soll – und muss – es sich finanziell auszahlen, wenn sie ihre Emissionen reduzieren. Wichtig sei, bei der Umsetzung keine Firmen zu benachteiligen, die bereits heute nachhaltig wirtschaften. Denn diese hätten im Gegensatz zu großen Konzernen ein relativ zur Unternehmensgröße geringeres Einsparpotenzial.
Neu hergestellte Kunststoffprodukte sollten besteuert werden
Handlungsbedarf sieht Katharina auch bei der Besteuerung von Virgin Plastic, also neu hergestellten Kunststoffprodukten. Diese sind in Deutschland von der Energiesteuer befreit. Dies senke die Wettbewerbsfähigkeit von recyceltem Kunststoff und verhindere, dass dieser vermehrt in der Breite eingesetzt werde. Vor allem für kleinere und mittelständische Unternehmen, die in Deutschland produzieren und ihre Produktion auf Rezyklate umstellen möchten, sei dies ein echter Hemmschuh.
Wir als Fachgruppe Holzspielzeug bedanken uns sehr herzlich bei Katharina Reuter für diesen sehr interessanten Einblick in eine höchst relevante Thematik, der wir uns als Herstellende von Holzspielwaren aktiv stellen müssen. Oder um es mit den Worten von Katharina Reuter zu sagen.
Unser Window of Opportunitiy ist jetzt – dieses Jahrzehnt entscheidet, wohin die Reise geht.
Dr. Katharina Reuter, Geschäftsführerin BNW, Fachgruppen-Onlinemeeting 19.05.2022